Mythos: Der Mensch ist ein Pflanzenfresser: Unterschied zwischen den Versionen

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==Physiologische Einordnung==
==Physiologische Einordnung==
Das aufgeworfene Argument des Menschen als Pflanzenfresser zielt jedoch nicht auf die ökologische Einordnung ab, sondern auf eine angebliche physiologische Eignung. Typischerweise gehen mit einem Fokus auf eine Nahrungsquelle – Pflanzen oder Fleisch – physiologische Spezialisierungen einher. So können beispielsweise bestimmte Nahrungsbestandteile besser verdaut und aufgenommen werden, schädliche Bestandteile in der Nahrung vertragen werden oder essentielle Nährstoffe, die in der hauptsächlich gewählten Nahrung nicht vorhanden sind, vom Körper selbst hergestellt werden. Bei Menschen ist auffällig, dass diese Fähigkeiten aufweisen, die ihnen sowohl den Konsum pflanzlicher als auch den Konsum tierischer Nahrung erleichtern. Ein Indiz darauf, dass der Mensch auch physiologisch auf eine Mischkost ausgelegt sein könnte. Auf der einen Seite stehen Anpassungen, wie ein doppeltes Auftreten des AMY1 in Menschen aus Agrargesellschaften, das dazu führt, dass diese Menschen mehr Amylase in ihrem Speichel bilden und so Stärke besser verdauen können.<ref> Perry, G. H., Dominy, N. J., Claw, K. G., Lee, A. S., Fiegler, H., Redon, R., ... & Carter, N. P. (2007). Diet and the evolution of human amylase gene copy number variation. Nature genetics, 39(10), 1256-1260.<br> https://doi.org/10.1038/ng2123 </ref> Auf der anderen Seite stehen beim Menschen auftretende Einzelnukleotid-Polymorphismen (vereinfacht Mutationen) im Zusammenhang mit einer Bildung des Enzyms Laktase über die Zeit des Säuglingsalters hinaus. Das Enzym ist verantwortlich für die Verdauung des Milchzuckers und ermöglicht so erwachsenen Menschen die Verdauung von unverarbeiteter Milch. <ref> Tishkoff, S. A., Reed, F. A., Ranciaro, A., Voight, B. F., Babbitt, C. C., Silverman, J. S., ... & Ibrahim, M. (2007). Convergent adaptation of human lactase persistence in Africa and Europe. Nature genetics, 39(1), 31-40. <br> https://doi.org/10.1038/ng1946 </ref> Diese beiden Beispiele zeigen auch eindrücklich, wie schnell Anpassung an veränderte Selektionsdrücke sich im Erbgut niederschlagen können.<br>
Das aufgeworfene Argument des Menschen als Pflanzenfresser zielt jedoch nicht auf die ökologische Einordnung ab, sondern auf eine angebliche physiologische Eignung. Typischerweise gehen mit einem Fokus auf eine Nahrungsquelle – Pflanzen oder Fleisch – physiologische Spezialisierungen einher. So können beispielsweise bestimmte Nahrungsbestandteile besser verdaut und aufgenommen werden, schädliche Bestandteile in der Nahrung vertragen werden oder essentielle Nährstoffe, die in der hauptsächlich gewählten Nahrung nicht vorhanden sind, vom Körper selbst hergestellt werden. Bei Menschen ist auffällig, dass diese Fähigkeiten aufweisen, die ihnen sowohl den Konsum pflanzlicher als auch den Konsum tierischer Nahrung erleichtern. Ein Indiz darauf, dass der Mensch auch physiologisch auf eine Mischkost ausgelegt sein könnte. Auf der einen Seite stehen Anpassungen, wie ein doppeltes Auftreten des AMY1 in Menschen aus Agrargesellschaften, das dazu führt, dass diese Menschen mehr Amylase in ihrem Speichel bilden und so Stärke besser verdauen können.<ref> Perry, G. H., Dominy, N. J., Claw, K. G., Lee, A. S., Fiegler, H., Redon, R., ... & Carter, N. P. (2007). Diet and the evolution of human amylase gene copy number variation. Nature genetics, 39(10), 1256-1260.<br> https://doi.org/10.1038/ng2123 </ref> Auf der anderen Seite stehen beim Menschen auftretende Einzelnukleotid-Polymorphismen (vereinfacht Mutationen) im Zusammenhang mit einer Bildung des Enzyms Laktase über die Zeit des Säuglingsalters hinaus. Das Enzym ist verantwortlich für die Verdauung des Milchzuckers und ermöglicht so erwachsenen Menschen die Verdauung von unverarbeiteter Milch. <ref> Tishkoff, S. A., Reed, F. A., Ranciaro, A., Voight, B. F., Babbitt, C. C., Silverman, J. S., ... & Ibrahim, M. (2007). Convergent adaptation of human lactase persistence in Africa and Europe. Nature genetics, 39(1), 31-40. <br> https://doi.org/10.1038/ng1946 </ref> Diese beiden Beispiele zeigen auch eindrücklich, wie schnell Anpassung an veränderte Selektionsdrücke sich im Erbgut niederschlagen können.<br>
===Cucinivore===
===Cucinivore?===
Die Beobachtung, dass Änderungen in der Ernährungsweise des Menschen in den letzten Jahrtausenden sich bereits im Erbgut des Menschen niedergeschlagen haben, wie auch das Faktum, dass Menschen ihre Nahrung häufig vor dem Verzehr bereits verarbeiten, brachte Furness  et al. im Jahr 2015 zu der Einschätzung des Menschen als „Cucinivoren“. Verwiesen wird auf die 300.000-400.000 Jahre alte Methode zur Nahrungsverarbeitung durch Kochen. Zudem werden weitere Methoden angeführt, wie das Zermahlen und die Verarbeitung durch Lagerung, wie bspw. das Gären, das Fermentieren oder das Aushängen. Furness et al. zu Folge könnten diese Verhaltensweisen eine Ursache für die spezifischen Charakteristika des menschlichen Verdauungstraktes sein.<ref>
Die Beobachtung, dass Änderungen in der Ernährungsweise des Menschen in den letzten Jahrtausenden sich bereits im Erbgut des Menschen niedergeschlagen haben, wie auch das Faktum, dass Menschen ihre Nahrung häufig vor dem Verzehr bereits verarbeiten, brachte Furness  et al. im Jahr 2015 zu der Einschätzung des Menschen als „Cucinivoren“. Verwiesen wird auf die 300.000-400.000 Jahre alte Methode zur Nahrungsverarbeitung durch Kochen. Zudem werden weitere Methoden angeführt, wie das Zermahlen und die Verarbeitung durch Lagerung, wie bspw. das Gären, das Fermentieren oder das Aushängen. Furness et al. zu Folge könnten diese Verhaltensweisen eine Ursache für die spezifischen Charakteristika des menschlichen Verdauungstraktes sein.<ref>
* Furness, J. B., & Bravo, D. M. (2015). Humans as cucinivores: comparisons with other species. Journal of Comparative Physiology B, 185(8), 825-834.<br> https://doi.org/10.1007/s00360-015-0919-3<br>
* Furness, J. B., & Bravo, D. M. (2015). Humans as cucinivores: comparisons with other species. Journal of Comparative Physiology B, 185(8), 825-834.<br> https://doi.org/10.1007/s00360-015-0919-3<br>
* Furness, J. B., Cottrell, J. J., & Bravo, D. M. (2015). Comparative gut physiology symposium: comparative physiology of digestion. Journal of animal science, 93(2), 485-491.<br> https://doi.org/10.2527/jas.2014-8481 </ref><br>
* Furness, J. B., Cottrell, J. J., & Bravo, D. M. (2015). Comparative gut physiology symposium: comparative physiology of digestion. Journal of animal science, 93(2), 485-491.<br> https://doi.org/10.2527/jas.2014-8481 </ref><br>
===Vitamin B12===
===Vitamin B12===
Ein eindrückliches Indiz darauf, dass der Mensch kein reiner Pflanzenfresser ist, ist die mangelnde Fähigkeit, das in seinem Verdauungstrakt gebildete Vitamin B12 dort auch aufzunehmen, sodass der Mensch auf eine externe Quelle des Vitamins angewiesen ist. Es sind derzeit keine Pflanzen bekannt, die den Bedarf dieses Vitamins zuverlässig decken können. Daher wird von der Deutschen Gesellschaft für Ernährung zu einer Supplementation dieses Vitamins geraten, sollte man keine oder nicht ausreichend tierische Produkte zur Deckung des Bedarfs verzehren.<ref>Richter, M. et al. (2016) DGE-Position "Vegane Ernährung": https://doi.org/10.4455/eu.2016.021 - deutsch: https://www.ernaehrungs-umschau.de/fileadmin/Ernaehrungs-Umschau/pdfs/pdf_2016/04_16/EU04_2016_M220-M230_korr.pdf <br> Archiv: https://web.archive.org/web/20200409171608/https://www.ernaehrungs-umschau.de/fileadmin/Ernaehrungs-Umschau/pdfs/pdf_2016/04_16/EU04_2016_M220-M230_korr.pdf</ref><br>
Ein eindrückliches Indiz darauf, dass der Mensch kein reiner Pflanzenfresser ist, ist die mangelnde Fähigkeit, das in seinem Verdauungstrakt gebildete Vitamin B12 dort auch aufzunehmen, sodass der Mensch auf eine externe Quelle des Vitamins angewiesen ist. Es sind derzeit keine Pflanzen bekannt, die den Bedarf dieses Vitamins zuverlässig decken können. Daher wird von der Deutschen Gesellschaft für Ernährung zu einer Supplementation dieses Vitamins geraten, sollte man keine oder nicht ausreichend tierische Produkte zur Deckung des Bedarfs verzehren.<ref>Richter, M. et al. (2016) DGE-Position "Vegane Ernährung": https://doi.org/10.4455/eu.2016.021 - deutsch: https://www.ernaehrungs-umschau.de/fileadmin/Ernaehrungs-Umschau/pdfs/pdf_2016/04_16/EU04_2016_M220-M230_korr.pdf <br> Archiv: https://web.archive.org/web/20200409171608/https://www.ernaehrungs-umschau.de/fileadmin/Ernaehrungs-Umschau/pdfs/pdf_2016/04_16/EU04_2016_M220-M230_korr.pdf</ref><br>
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