Mythos: 16 kg Getreide für 1 kg Rindfleisch

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Unter Umweltaktivist_innen und Veganer_innen ist das Argument verbreitet, dass bei der Produktion eines Kilogramms Rindfleisch 16 kg für den Menschen essbares Getreide gebraucht würde. Eine solche Umwandlungsrate bedeutete zum einen eine große Umweltbelastung und zum anderen wäre es eine Verschwendung von Nahrungsmitteln, während Menschen in anderen Teilen der Erde hungern.

Tatsächlich: Bei der Produktion von Rindfleisch werden vor allem solche Pflanzen eingesetzt, die für den menschlichen Konsum nicht geeignet sind. Zugefüttert werden pro Kilogramm Rindfleisch im Durchschnitt zwischen 3,9 kg und 9,4 kg für den Menschen essbare Pflanzen, je nach Haltungsart.

Verbreitung

Die 16 kg Getreide für 1 kg Rindfleisch Statistik ist in der Umwelt- und Tierschutzbewegung weit verbreitet. Neben zahlreichen Büchern[1] und Blog-Einträgen[2], wird diese Statistik auch von großen Organisationen verbreitet, wie beispielsweise Swissveg[3], Peta[4] oder dem WWF.[5]

Ursprung

Es gibt mehrere Quellen auf die für diese Angabe verwiesen wird.

Dr. Jeffrey Sachs

Zum einen verweist der Autor und Professor der Soziologie Michael Carolan in zwei seiner Bücher[6][7] auf einen Vortrag des Ökonomen, Dr. Jeffrey Sachs, den dieser im Rahmen des Borlaug Dialogue 2009 in Des Moines, Iowa, gehalten hat. In diesem Vortrag sagte Sachs unter anderem:

As you know, a kilogram of final beef consumption requires up to 16 kilograms of grain input.[8]

Obwohl sich Sachs lange mit dem Problem des Welthungers beschäftigt hat, ist diese Behauptung ohne eine weitere Angaben zur Berechnung nicht brauchbar als Quellenangabe.

Prof. William P. Cunningham et al.

In verschiedenen Büchern, wie bspw. im Buch The Skeptical Environmentalist: Measuring the Real State of the World[9], wird sich mit der Behauptung auf ein Lehrbuch von Prof. William P. Cunningham et al. mit dem Titel The Environmental Science: A Global Concern bezogen.[10] In der siebten Auflage aus dem Jahr 2009 heißt es:

Every 16 kg of grain and soybeans fed to beef cattle in feedlots produce about 1 kg of edible beef.

Hierbei fällt auf, dass sich die Formulierung geändert hat. Während Sachs noch sagte, dass für jedes Kilogramm Rindfleisch 16 kg Getreide notwendig seien, wird im Buch von Cunningham et al. lediglich behauptet, dass Rinder für 16 kg gefüttertem Getreide und Soja einen Kilogramm an essbarem Gewicht zulegen würden. Diese Formulierung impliziert nicht mehr, dass eine Fütterung einer solchen Menge an Getreide und Soja notwendig oder üblich sei. Die Möglichkeit Rinder verstärkt oder ausschließlich mit anderen Futtermitteln zu mästen wird durch diese Formulierung nicht mehr ausgeschlossen.
In dem Buch werden allerdings keine Quellen für diese Aussage angegeben.

Frances Moore Lappé

Zu einer dritten gelegentlich angeführte Quelle führen Nachforschungen des antiveganblogs.[11] Im Buch Diet for a Small Planet aus dem Jahr 1991 berichtet die amerikanische Autorin und Aktivistin, Frances Moore Lappé:

For every 16 pounds of grain and soy fed to beef cattle on the United States we only get 1 pound back in meat on our plates.[12]

Da es sich hierbei um die älteste niedergeschriebene Fassung dieser Behauptung handelt, ist die Wahrscheinlichkeit hoch, dass es sich hierbei um deren Ursprung handelt.
In einer Fußnote (Fußnote 13) führt sie eine Berechnung auf, die sie mit einigen Annahmen selbst durchgeführt hat, und kommt dabei darauf, dass für ein Pfund essbaren Rindfleisches etwa 16-17 Pfund Getreide und Soja notwendig seien.[13]
Die maßgebliche Annahme, die ihre Berechnung von anderen unterscheidet, ist, dass sie die Menge an konsumiertem Soja und Getreide nur auf die Fleischmenge bezieht, deren Synthese man tatsächlich auf den Konsum von Getreide und Soja zurückführen könne, nicht aber auf die Menge an Fleisch, dessen Synthese durch andere Futtermittel, wie beispielsweise Silage oder Abfallstoffe der Pflanzenölproduktion, zurückzuführen sei. Konkret bedeutet das, dass sie nur einen Teil des tatsächlichen Schlachtgewichtes, nämlich 40 %, durch die konsumierte Menge an Getreide und Soja dividiert. Das führt dazu, dass die Angabe, 16 kg für einen Kilogramm Rindfleisch, nicht auf jedes Rindfleisch verallgemeinert werden kann und für eine allgemeine Ermittlung der verbrauchten Futtermittel nicht geeignet ist. Lappé merkt selbst an, dass diese Berechnungsart unüblich ist und dass wenn man das gesamte Schlachtgewicht wählte, eine Rate von 7 Pfund Getreide und Soja für einen Kilogramm Rindfleisch herauskäme.[14]
Eine zweite Annahme, die sie trifft, ist, dass die 25 % Gewichtsanteil von Getreide und Soja am Gesamtfutter nicht 25 %, sondern 40 % zur Gewichtszunahme des Rindes beitragen würden. Für diese Annahme beruft sie sich auf nicht näher benannte Experten. Aufgrund der höheren Energiedichte von Getreide und Soja gegenüber Silage und Gras ist der höhere Anteil an der Gewichtszunahme jedoch nachvollziehbar.

FAO-Einschätzung

Eine Studie der Food and Agriculture Organization of the United Nations (FAO) aus dem Jahr 2017 schätzt den Futterbedarf an für den Menschen essbaren Pflanzen für die Synthese von einem Kilogramm knochenfreiem für den menschlichen Verzehr geeigneten Rindfleisch auf im Durchschnitt zwischen 3,9 kg und 9,4 kg, je nach Haltungsart.[15] Dem Global Livestock Environmental Assessment Model (GLEAM) der FAO zu Folge, machte im Jahr 2010 Getreide im Schnitt nur 13 % des Gewichtes der weltweiten Gesamtfuttermenge aus.[16]

Einzelnachweise

  1. Buchbeispiele zu der 16 kg Angabe:
    • Kemmerer, L. (2014) Eating Earth: Environmental Ethics and Dietary Choice, Oxford University Press
      ISBN: [9780199391868]
    • Stranz, S.(2014) Lebensreform heute: Gesunde Lebensweise in der modernen Gesellschaft, Books on Demand, p.12
      ISBN: [9783735726582]
    • Stegmüller-Lang, S.(2014) Tierschutz macht Sinn: Aufmerksamkeit statt Tiervergessenheit, novum pro Verlag
      ISBN: [9783990385586]
  2. Blogeintrag-Beispiele für die 16 kg Angabe:
  3. Swissveg(2019) Umwelt&Ernährung
    https://www.swissveg.ch/umweltfakten
    Archiv: https://web.archive.org/web/20200516110819/https://www.swissveg.ch/umweltfakten
  4. Peta (2012) Veganismus: Verantwortungsvoll und gesund genießen https://www.peta.de/veganismus-verantwortungsvoll-und-gesund-geniessen
    Archiv: https://web.archive.org/web/20200516111926/https://www.peta.de/veganismus-verantwortungsvoll-und-gesund-geniessen
  5. WWF (2011) Klimaerwärmung durch Fleischkonsum?, p.2
    http://mobil.wwf.de/fileadmin/fm-wwf/Publikationen-PDF/Fleisch_und_Klima_07102011.pdf
    Archiv: https://web.archive.org/web/20200516112424/http://mobil.wwf.de/fileadmin/fm-wwf/Publikationen-PDF/Fleisch_und_Klima_07102011.pdf
  6. Carolan, M.(2013) The Real Cost of Cheap Food, Routledge, p.101
    ISBN: [9781136529771]
  7. Carolan, M.(2013)Reclaiming Food Security, Routledge, p.92
    ISBN: [9781135067663]
  8. Sachs, J.(2009) Food at the Center of Global Crisis, transcript 2009 Borlaug Dialogue
    https://www.worldfoodprize.org/documents/filelibrary/images/borlaug_dialogue/2009_speakers/transcripts/2009BorlaugDialogueSachs_5B59FDFD3AF58.pdf
    Archiv: https://web.archive.org/web/20130806044209/http://www.worldfoodprize.org/documents/filelibrary/images/borlaug_dialogue/2009_speakers/transcripts/2009BorlaugDialogueSachs_5B59FDFD3AF58.pdf
  9. Lomborg, B. (2003) The Skeptical Environmentalist: Measuring the Real State of the World, McGraw-Hill, p.236
    ISBN: [9780521010689]
  10. Cunningham, W. P.; Cunningham, M. A., Saigo, B. W.(2009) Environmental Science: A Global Concern, McGraw-Hill Higher Education, Pennsylvania State University, 7th edition, p.185
    ISBN:
    [9780070294264]
  11. antiveganblog(2013) 16 Kilo Getreide für 1 Kilo Fleisch – NICHT!
    https://www.antiveganforum.com/16-kilo-getreide-fur-1-kilo-fleisch-nicht/
    Archiv: https://web.archive.org/web/20200515211211/https://www.antiveganforum.com/16-kilo-getreide-fur-1-kilo-fleisch-nicht/
  12. Lappé, F. M. (1991) Diet for a Small Planet, Ballantine Books, University of Michigan, 20. Auflage,
    ISBN: [9780345321206]
  13. Ebd., p.464
  14. Ebd., p.9& 464
  15. Mottet, A., de Haan, C., Falcucci, A., Tempio, G., Opio, C., & Gerber, P. (2017). Livestock: On our plates or eating at our table? A new analysis of the feed/food debate. Global Food Security, 14, 1-8.
    https://doi.org/10.1016/j.gfs.2017.01.001
  16. FAO (2010) Global Livestock Environmental Assessment Model http://www.fao.org/gleam/results/en/#c300947
    Archiv: https://web.archive.org/web/20200516101758/http://www.fao.org/gleam/results/en/